Weiter so?Dr. Thomas Fasbender bild © russland.NEWS

Weiter so?

Der Russlandflüsterer

[von Dr. Thomas Fasbender] Der Inhalt der GroKo-Sondierungen zum Thema Russland geht gegen Null. Was die gleiche Koalition in den Jahren seit Minsk II geliefert hat, ebenfalls. Jetzt wird das Weiter-so, wenn uns die SPD-Mitglieder nicht in letzter Sekunde retten, bittere Realität. Und die könnte grauer, blutärmer und einfallsloser kaum sein.

Da geriert man sich als europäische Führungsmacht und bringt über Jahre hinweg keinen Funken Initiative zustande. Nur rhetorische Endlosschleifen: Der Russe muss Minsk II erfüllen. Denkfaulheit und Rechthaberei werden als Überlegenheit verkauft. Dabei weiß die ganze Welt, dass es Kiew obliegt, die Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen nach Gusto zu torpedieren.

Das Abkommen war vom Start weg eine Luftnummer, eine Atempause für alle Seiten, ihre Beute zu konsolidieren. Der Westen zurrt die Ukraine in seiner Einflusssphäre fest; Russland positioniert den Donbass als Stachel im europäischen Fleisch. Das Normandie-Format ist ein Feigenblatt, um dem Kontinent Bedeutung vorzugaukeln; in der Ukraine hat Washington das Heft in der Hand; die Berliner Großkoalitionäre stört beides nicht. Hauptsache, die Journalisten glauben, dass man das Gute und den Frieden will. Den Russen ist es egal, in Moskau traut man sich ohnehin den längeren Atem zu.

Minsk II ist eine Gebetsmühle, kein gangbarer Weg. Der letzte konkrete russische Vorschlag, den Einsatz von UN-Blauhelmen betreffend, wurde im Westen mit einer Mischung aus Misstrauen und Verachtung abgetan. Was hat man von so einem wie Putin außer eigennützigen Finten schon zu erwarten? Derweil schaffen Amerikaner und Ukrainer Tatsachen. Die USA dürfen jetzt auch todbringende Waffen liefern, und Kiew hat die abtrünnigen Gebiete per Gesetz als feindlich besetzt deklariert. Ein eingefrorener Konflikt sieht anders aus.

In Wahrheit passt die Auseinandersetzung allen Beteiligten ins Konzept. In Russland mobilisiert sie Zustimmung für die Herrschenden; die Kiewer Oligarchen lenken mit dem Bürgerkrieg von eigenen Missständen ab; der Westen muss befürchten, dass eine Ukraine, deren Verhältnis zu Russland sich vor der Zeit entspannt, in die Neutralität zurückfällt.

Ein Grund, weshalb Annäherung derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, ist auch der weltanschauliche Konflikt, der Europa und die Welt zunehmend prägt. Nicht nur die Visegrád-Staaten stellen den permissiv-liberalen Demokratien des „klassischen“ Westens eigene, autoritärere Modelle entgegen. Es geht um Identität, Nation und Kultur – Begriffe, die auch die Diskussion im Westen prägen, wo „postmoderne“ Selbstverständlichkeiten ebenfalls in Frage gestellt werden.

Russland spielt bei dieser Auseinandersetzung seine schon zur Zarenzeit bewährte Rolle als Schutzmacht der Konservativen und Traditionalisten. Ein realer Informationskrieg ist ausgebrochen, der nicht nur Fake-News und mediale Manöver zum Gegenstand hat. Es geht um Deutungs- und Definitionshoheiten, um ideologische Positionen und um Allianzen.

Auf beiden Seiten ersetzen die Lust am Feindbild und die Angst vor Bedrohung bald jede Form von Neugier und Dialog. Paranoide Züge werden prominenter; die Menetekel stehen in Flammenschrift an jeder Wand. In Russland warnen sie vor Farbenrevolutionen, Regime Change und Soros-Millionen; im Westen vor Cyber- und Spaltattacken, vor rechten Machenschaften, Aggression und Expansion.

Kein Tag, an dem Europa nicht durch russische Umtriebe im Kern gefährdet ist. Ob es wahr ist, dass die AfD ohne Schützenhilfe seitens RT und Sputniknews höchstens 4,9 Prozent Stimmenanteil hätte? Dass es EU-Skeptiker ohne Kreml-Propaganda wahrscheinlich überhaupt nicht gäbe?

Noch ist der Konflikt ein Spiel, ein heiter-böses Sparring, doch das muss nicht so bleiben. Die Trumps und McCains verrichten in Kiew kein Segenswerk, und wenn die Berliner Politiker weitere vier Jahre lang Gebetsmühlen drehen, bleibt nur die Hoffnung, dass die junge Generation jenseits der Grenzen, Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron, endlich europäische Impulse setzt.

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