Szenario nach einem Anschlag auf die neue Krimbrücke

Szenario nach einem Anschlag auf die neue Krimbrücke

[von Prof. Alexander Rahr] In einer Woche tagt der Petersburger Dialog. Erbauliches ist von ihm kaum zu erwarten. Die Lage bleibt kritisch.

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes verkündet auf der Pressekonferenz, dass Russland für Deutschland und den Westen zu einer Gefahr geworden ist. Der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes verkündet kurz darauf auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Moskau, dass er „verlässliche Informationen“ über den Zerfall in der EU besitzt.

Der liberale russische Politiker Alexei Arbatow fürchtet das folgende Szenarium: Jemand verübt einen Anschlag auf die neue Verbindungsbrücke vom Russischen Festland auf die Krim. Russland würde gegen die Ukraine Vergeltung üben. Die USA würden der Ukraine Waffen liefern und die NATO das russische Gebiet Kaliningrad an der Ostsee umzingeln. Man wäre im Krieg, unbedacht, wie seinerzeit 1914 durch die Schüsse von Sarajevo.

Russland sieht sich von allen Seiten attackiert. Die NATO verstärkt ihre Militärpräsenz an der russischen Westgrenze, Amerika erklärt – über die neue Sanktionsverhängung – der russischen Wirtschaft den Krieg, in den Internationalen Gerichten sitzt Moskau auf der Anklagebank, man droht Russland mit dem Arrest staatlichen Eigentums, in den USA werden russische diplomatische Einrichtungen zwangsgeräumt, Russland wird dem staatlich gelenkten Doping seiner Sportler angeklagt und von Olympischen Spielen verbannt, in fast jedem westlichen Land findet eine Hexenjagd auf vermeintliche russische Hacker statt, die scheinbar die westlichen Demokratien unterminieren, Bankkonten russischer Privatkunden im Westen werden geschlossen, westliche Persönlichkeiten, die sich für Russland einsetzen verteufelt. Russland ist toxisch, verseucht – jede Berührung ist gefährlich, bald womöglich strafbar.

Das Schlimmste für Russland ist, dass es nicht mehr als Großmacht ernst genommen wird. Im Kalten Krieg wurde die Sowjetunion auch verteufelt – aber als Macht respektiert. Deswegen wurde mit Moskau immer geredet, Kompromisse ausgehandelt. Gegenüber Russland setzt der Westen auf Demütigung. Er ignoriert, isoliert und stoppt den Dialog mit Russland. Er will Russland moralisch in die Ecke drängen und so bestrafen.

Der Westen sagt: Russland solle die Krim zurückgeben und sich aus der Ukraine herausziehen. Dann würden die schmerzlichen Strafmaßnahmen enden. Russland wird die Krim nicht zurückgeben. Es argumentiert, ein Referendum hätte stattgefunden – also sei völkerrechtlich alles gut.

Ein Lösungsschritt für die Ukraine wäre die Stationierung von UN Friedenstruppen im Donbass, doch auch hier steckt der Teufel im Detail. Russland will russische Soldaten in die internationale Friedenstruppe integrieren. Der Westen und die Ukraine fordern ihrerseits eine Kosovo-Lösung für den abtrünnigen Donbass – also die Übernahme der gesamten Kontrolle durch UN Blauhelme und die OSZE.

Auf den jeweils anderen Vorschlag folgt eisiges Schweigen der Gegenseite.

Auf dem Brainstorming des deutsch-russischen Forums „Potsdamer Begegnungen“ in Moskau wurde fieberhaft nach einem „Back Channel“, einem Kanal für Geheimdiplomatie gearbeitet, der in Zeiten, wo offizielle Politiker nicht miteinander reden, einen Kontakt zur anderen Seite für die Regierungen bereithält.

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