Skripal-Affäre – ein hochkarätiger internationaler KriminalfallRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

Skripal-Affäre – ein hochkarätiger internationaler Kriminalfall

Die Skripal-Affäre setzt sich fort, sie weitet sich zu einem neuen politischen Skandal aus. Großbritannien hat Fotos und Videoaufnahmen von zwei mutmaßlichen russischen Geheimdienstlern veröffentlicht, die im vergangenen März die Vergiftung des Ex-Spions im englischen Salisbury mit dem verbotenen Kampfgas Nowitschok durchgeführt haben sollen. Beide Männer sind bei Interpol zur Fahndung ausgeschrieben. Die offiziellen russischen Stellen sagen, die Verdächtigten seien ihnen unbekannt. Doch fündige Journalisten in Moskau haben ihre ersten unabhängigen Recherchen zum Fall veröffentlicht.

Alexander Petrov und Ruslan Boschirov – so lauten die Namen in den Reisepässen der Verdächtigen – sind 1978 und 1979 geboren. Seit 2015 besitzen sie Reisepässe, mit denen sie gemeinsam schon mehrmals Paris, aber auch andere europäische Städte besucht haben. Petrov war im vergangenen Jahr sogar in Salisbury, der Stadt, in der Ex-Spion Sergei Skripal nach seiner Ausweisung aus Russland lebte.

Petrov soll in einer Firma tätig sein, die biologische Immunstoffe produziert. Über Boschirov ist kaum etwas bekannt. Beide Männer waren in den sozialen Netzen nicht aktiv. Anfang März 2018 reisten beide zusammen in einer Aeroflot-Maschine nach London. Sie blieben dort nur zwei Tage. An beiden Tagen besuchten sie Salisbury. Es existieren Dutzende von Videoaufnahmen, die beide Männer auf der Straße und U-Bahn dokumentieren, auch in der Nähe des Hauses von Skripal, in dem er und seine Tochter vergiftet wurden. Außerdem fand die Polizei Spuren des Nowitschok-Giftes im Londoner Hotelzimmer der beiden Verdächtigten.

Was ist von der Geschichte zu glauben, liefern die neuen Erkenntnisse der britischen Polizei einen neuen Schlüssel zur Aufklärung des mysteriösen Skripal-Falls? Beweise, dass beide Männer Skripal und seine Tochter vergiftet haben sollen, gibt es nicht. Aber die Indizien – die sofortige Abreise nach dem Giftanschlag, der zweifache Besuch Salisburys, u.a. zur Tatzeit, sowie der Nowitschok-Fund im Hotel sind, falls sie tatsächlich stimmen, knallharte Indizien und sprechen für die Version der Engländer.

Die russische Seite widersprach umgehend – und sehr vehement, nicht weniger glaubhaft. Man besitze in Russland keine Passdaten von diesen Personen, die Engländer sollten kooperieren und die Fingerabdrücke der Verdächtigten übermitteln. Das hochgiftige Kampfgas Nowitschok könne man nicht so einfach in einer Parfümflasche transportieren, wie es die britische Polizei herausgefunden haben soll. Ein solcher Kampfstoff dürfe nur absolut hermetisch abgeschlossen transportiert werden. Im Hotelzimmer der beiden verdächtigten Russen seien Reste von Nowitschok gefunden worden, die, laut britischer Polizei, keine Gefahr darstellten. Russische Biochemiker beteuerten, dass sich Nowitschok innerhalb von 24 h auflöse und das Hotel danach verseucht sei. Auch scheinen die Berater von Theresa May zu vergessen, dass eine Struktur wie der militärische Aufklärungsdienst „GRU“ seit mehreren Jahren nicht mehr existiere, vielmehr umbenannt worden ist. Russland sei von Beginn an zur Zusammenarbeit bereit gewesen, darauf habe London verzichtet. London versuche, diesen Fall politisch auszunutzen.

Gibt es also Petrov und Boschirov wirklich? Geheimagenten des russischen Militäraufklärungsdienstes, wie die britische Premierministerin behauptet und damit die Kremlführung in Verantwortung ziehen möchte? Ein besonnener Blick aufs Ganze nährt an dieser Hypothese große Zweifel. Ausgebildete Agenten hätten sich in dieser Angelegenheit professioneller verhalten, hätten ihre Gesichter besser vor Videokameras versteckt, wären viel unauffälliger vorgegangen und hätten – nach der Erfahrung mit der Vergiftung des anderen Ex-Spions, Alexander Litwinenko vor 10 Jahren – keine Giftspuren im Hotelzimmer hinterlassen.

Vermutlich sind Petrov und Boschirov, falls es sie gibt, primitive Auftragskiller, die für kriminelle Strukturen für Geld morden. Entweder wollte sich in der Tat ein ehemaliger Geheimdienstkollege, dessen Karriere durch den Verrat von Skripal seinerzeit beschädigt worden war, am Ex-Spion rächen. Oder der Mordauftrag galt nicht Skripal selbst, sondern seiner Tochter Julia. Schon im März gab es Gerüchte, dass Julias Verlobter, dessen Mutter mit Geheimdiensten verbunden war, Absichten hegte, ihre künftige Schwiegertochter „auszuschalten“. Dass der Verlobte völlig untertauchte und keine Anstalten machte, seine Verlobte in England nach dem Giftanschlag zu kontaktieren, nährt diesen Verdacht. Oder kam der Killerauftrag von einem Putin-Gegner, von denen es im In- und Ausland etliche gibt, der unbedingt vor der Fußballweltmeisterschaft eine großangelegte Provokation starten wollte, um den Staatspräsidenten in der Weltöffentlichkeit zu beschädigen?

Dass der Kreml selbst hinter dem Giftanschlag steckt, ist unlogisch. Erstens hatte Skripal einen Großteil seiner Strafe für den Geheimdienstverrat schon im Arbeitslager abgesessen. Zweitens wurde er gegen russische Spione im Westen nach allen Regeln des Geheimdienstethos ausgetauscht. Drittens betätigte er sich als Rentner nicht mehr politisch gegen sein früheres Vaterland, wie das manch andere Überläufer taten. Kein rational denkender Politiker würde kurz vor einer Fußballweltmeisterschaft, von der das Prestige des gesamten Landes abhing, das Risiko eines weltweiten Skandals und Imageverlustes eingehen.

Die russische Regierung besitzt Kenntnisse darüber, wer ihre Staatsbürger Petrov und Boschirov sind. Wenn Journalisten ihre Namen in etlichen Passagierlisten bei Auslandsflügen der letzten Jahre fanden, sind auch die Behörden im Bilde. Die These, dass beide Männer ein Paar sind, das gerne als Touristen ins Ausland reist und am Tag des Anschlags gegen Skripal nur zufällig in Salisbury war, ist nicht aufrecht zu erhalten.

Die Skripal-Affäre ist zu einem hochkarätigen internationalen Kriminalfall geworden, an dem sich Regierungen und Geheimdienste die Zähne ausbeißen werden. Dass die englische Regierung ihre neuesten Erkenntnisse just zu dem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit brachte, als die Offensive der syrischen Armee gegen die letzte verbleibende Hochburg der Assad-Gegner in Idlib begann, war wohl kein Zufall.

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