SANKTIONEN ODER KEINE SANKTIONEN? –  Russland und Deutschland suchen einen Ausstieg

SANKTIONEN ODER KEINE SANKTIONEN? – Russland und Deutschland suchen einen Ausstieg

Im Grunde wissen wir wieder nichts. Doch, wir wissen, dass Putin bei der Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneisl war und wir wissen, welchen Toast er in ausgezeichneten Deutsch ausgebracht hat. Wir wissen sogar, dass er dem Minister den Samowar überreichte und einen Kosakenchor mitbrachte, danach begab er sich nach Deutschland, um mit Angela Merkel zu verhandeln. Aber was Präsident Putin und Kanzlerin Merkel dreieinhalb Stunden lang ohne Zeugen miteinander besprochen haben, das wissen wir nicht. Wir wurden nur darüber informiert, dass Fragen der bilateralen Beziehungen, der Energie und des Baus der Nord-Stream-2-Pipeline auf dem Treffen erörtert wurden. Auf einer Pressekonferenz erklärten die Staatschefs der beiden Länder, dass man über Syrien, über Flüchtlinge und über die Ukraine gesprochen habe. Vielleicht ist das alles. Der ganze Rest – Vermutungen und Kommentare von Politikwissenschaftlern. Um ernsthaft zu kommentieren, müsste man  genau wissen, wovon die Rede ist.

Ich persönlich fand die Zahlen sehr  interessant, die Putin auf der Pressekonferenz zitierte. Es zeigt sich, dass der Umfang des Handels zwischen Russland und Deutschland im Jahr 2017 um 22 Prozent gestiegen ist, und in diesem Jahr um weitere 25 Prozent wachsen wird! Wie ist das zu verstehen? Was ist mit den Sanktionen? Was mit den Gegensanktionen? Das heißt, es gibt Sanktionen, aber der Handelsumsatz wächst trotz allem und wächst. Daher scheint mir, dass beide Staatschefs versuchen, eine Antwort auf eine sehr wichtige Frage zu finden, nämlich wie man die Sanktionen umgehen kann. Wie weiter vorgehen, damit der Handelsumsatz wächst, ohne die Sanktionen abzuschaffen? Deutschland kann die Sanktionen nicht abschaffen, weil die USA und ihre Verbündeten im Osten Europas daran Anstoß nähmen. In eine offene Konfrontation mit dem globalen Imperium zu gehen ist heute gefährlich, auch wenn die halbe Welt bereits über die ausgedachten Vorwände für die Sanktionen lacht – gleich ob es sich um die Vergiftung des ehemaligen russische Agenten Skripal (in der Nähe von Salisbury, wo es ein Labor zur Herstellung von toxischen Substanzen gibt), oder etwas anderes handelt. Aber irgendwie muss man ja leben. Da muss etwas gefunden werden. Also findet man etwas.

Natürlich ist das Thema Flüchtlinge für Merkel heute von großer Bedeutung. Weil ihre Entscheidung in Deutschland, mehr als eine Million Menschen aufzunehmen, die in einem anderen Teil der Welt, mit einer fremden Sprache, mit ganz anderer Mentalität aufgewachsen sind, Unzufriedenheit und Widerstand in der Öffentlichkeit und sogar in der Regierung verursachte. Daher muss etwas mit Syrien geschehen. Laut dem Mitglied des Rates für auswärtige Beziehungen Stefan Meister, ist es notwendig, sich für die politische Stabilität in Syrien einzusetzen und sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen,  damit die  Flüchtlinge nach Hause zurückkehren können. Der Wunsch ist natürlich gut. Aber ich glaube nicht, dass Menschen, die schon im wohlhabenden Deutschland gelebt haben, wieder in ein vom Krieg verwüsteten Land zurück gehen wollen für einen Wiederaufbau, für den viele Jahre und viele Milliarden Euro, Rubel oder Dollar benötigt werden. Ja, und wie soll das Land denn wiederhergestellt werden, wenn dann neue Sanktionen gegen den Iran angekündigt werden und die größten europäischen Unternehmen, aus Angst, dass sie vom US-Markt ausgeschlossen werden, rasch aus der iranischen Wirtschaft aussteigen. Und welche Rolle der Iran im heutigen Syrien spielt, muss nicht erklärt werden.

Die Vereinigten Staaten brauchen keine Konkurrenten. Das Gaspipeline-Projekt von Katar nach Europa durch Syrien (unter amerikanischer Kontrolle) ist gescheitert. Die USA werden daher zweifellos aus dem zerstörten Syrien hinausgehen. An dessen Wiederaufbau werden sie sich nicht beteiligen. Jetzt besteht das Ziel der Amerikaner darin russisches Gas aus Europa zu vertreiben. Dafür wurde eine Propagandakampagne gestartet, an der auch Präsident Trump teilnahm. Auf dem NATO-Gipfel im Juli sagte er, Deutschland importiere 70 Prozent Erdgas aus Russland. Dadurch wurde Deutschland, so seine Meinung, zur politischen Geisel Russlands. Die realen Zahlen sprechen dagegen von etwas anderem: Nach deutschen Quellen importiert Deutschland nicht 70, sondern 40 Prozent aus Russland. Das ist viel, aber nicht kritisch. Denn dies ist für Deutschland auch gut, insofern es nicht nur Importeur, sondern auch das größte Zentrum für die Verteilung von russischem Gas in Europa geworden ist. Betrachtet man dagegen die Abhängigkeit des deutschen Kapitals von amerikanischen Banken und dem amerikanischen Markt, dann ist nicht schwer zu verstehen, wessen politische Geisel Deutschland ist.

Wirtschaftliche Fragen sind natürlich sehr wichtig, aber vor Merkel steht meiner Meinung nach ein globaleres Problem, das schon heute entschieden werden muss. Entschieden werden muss die Frage der Unabhängigkeit Europas. Und entschieden werden muss sie namentlich durch Deutschland, denn Deutschland ist die Führung der Europäischen Union. Darüber hinaus muss klar werden, ob Europa ein vollwertiger Wirtschaftspartner Russland sein wird, oder ob die Konfrontation durch die beispiellose Propaganda auf beiden Seiten weiter geschürt wird.

Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten kommt aus einer langen Geschichte. Diese Geschichte war ziemlich widersprüchlich. Darin war viel Gutes. Seit dem 18. Jahrhundert beteiligten sich die Deutschen aktiv an der Entwicklung der russischen Wirtschaft, entwickelten Handel und Handwerk. Aber es gab auch schreckliche Seiten – zwei Weltkriege. Heute wird klar: Ob die historischen Lehren von den beiden Staaten gelernt wurden, oder ob sie sich wieder in eine unnötige Konfrontation hineinziehen lassen. Letzteres möchte man ganz und gar nicht wünschen.

Yefim Bershin / russland.NEWS

Übersetzung: Kai Ehlers

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