Russland soll alsoKaiser, Kerstin Bild © Kaiser, Kerstin

Russland soll also

Russland soll also erklären, künftig keine chemischen Kampfstoffe oder Waffen mehr anzuwenden. Ansonsten droht in drei Monaten – ja, was? Als Vorwand für Anprangerung und Erpressung wird der der Giftanschlag auf Julia und Sergej Skripal recycelt. Von der ersten Minute an hat Russland konsequent jede Verantwortung dafür abgelehnt, Großbritannien hat bis heute keinen Schuldbeweis für das Gegenteil geliefert. Im April hielt man einige Tage lang selbst den Einsatz militärischer Mittel unter Beteiligung der NATO-Verbündeten für nicht mehr ausgeschlossen, nur um die politisch unübersehbar angeschlagene Theresa May  vor „dem Kreml“ zu schützen.

Nach dem Willen von US-Präsident und -Senat könnte die Führung Russlands neuerlichen Schaden durch ein „höllisches Sanktionsgesetz“ (Senator Graham) nur noch durch ein faktisches Geständnis im Fall Skripal und allen unterstellten Chemiewaffeneinsätzen abwenden. Damit freilich ist nicht zu rechnen. Petra Erler merkte schon im Frühjahr an, dass die Debatte ihre Rationalität verliert, wenn „Gegenwehr zum Schuldbeweis umgedeutet wird“. Jetzt sind wir in der nächsten Runde.

Unberechenbar ist eigentlich nicht Trump. Unberechenbar sind und bleiben innere, selbst innerrepublikanische Kämpfe und ihre Auswirkungen auf die Politik der Weltmacht: Der jetzige antirussische Vorstoß ist ein Manöver der Russland- und Trump-Gegner in den USA. Er belegt die Stärke des US-Machtsystems gegen seinen Präsidenten und, in diesem Fall, die Stärke der Kräfte, denen das Treffen in Helsinki so gar nicht passte.

Trotz einschlägiger Erfahrungen von Vietnam- bis Irak-Krieg zweifelt aber in den Chefetagen Deutschlands, der EU und der NATO niemand offen und öffentlich an Glaubwürdigkeit und Lauterkeit der US-Politik unter ihren wechselnden Präsidenten. Im Gegenteil, man steigt – samt global agierender Unternehmen der „freien Wirtschaft“ – lieber mit ins Boot,  solange der Kurs nur gegen Russland geht. Man nimmt sogar in Kauf, dass es aussieht, als gäbe Westeuropa Trumps Erpressung „America first“ nach. Warum? Man hat eben eigene wirtschaftliche und politische Interessen an einem dauerhaft schwachen und willfährigen Russland, wie zuletzt zu Jelzins Zeiten. USA und EU arbeiten also gemeinsam an der Schwächung und Destabilisierung Russlands.

Sanktionen als politisches Instrument sollen Stärke demonstrieren, nach innen und außen. Verkauft als ultima ratio sind sie international längst zum alltäglichen Droh- und Disziplinierungsinstrument geworden. Sie sollen Regierungen von zuvor zu Parias erklärten Staaten schwächen, sie von innen heraus destabilisieren. Dass deren sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten als erste zu leiden haben, ist zynisches Kalkül. Man könnte das auch Arbeiten am „regime change“ nennen.

Wer so in der Politik auf Erpressung und bloße Macht des Stärkeren setzt, sie hinnimmt oder anwendet, der entwertet zivilisatorische Kompromisse, internationales Recht und Regeln und stellt sie dauerhaft zur Disposition. Genau das liefert Populisten und Nationalisten allerorten Munition für ihre Feldzüge und fördert in Europa zwei sich in der Russland-Frage selbst widersprechende, destruktive Tendenzen:  Einerseits z.B. vertreten von England, Polen und den baltischen Staaten. Andererseits von den internationalen Rechtspopulisten, welche die Vorlage aus den USA nutzen, um die EU zu unterminieren und die im Autoritarismus nach russländischem Vorbild und im Nationalismus ihre Zukunft sehen wollen. Deren „Friedensfahnen“ Richtung Russland wehen allerdings tatsächlich zur Marschmusik gegen Demokratie, gegen politische Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit in ganz Europa.

Warum also soll Russland?

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