Kooperation statt Konfrontation?Oroschakoff, Haralampi G., Künstler bild © Diana Hohenthal

Kooperation statt Konfrontation?

Haralampi G. Oroschakoff 1 Doppelkreuz Revolution 2 2017 100 x 80 cm

Gute Absichten, wohin man blickt – Gefühle von Opfer, Schützen, die Ehre des einen, eines oder mehrerer Völker bewahren, die Sicherheit der Bürger und den sozialen Frieden sichern, Sexismus im öffentlichen Raum ahnden, Feinstaub und Abgaswerte senken und Gesundheitsstandards steigern – bei so edlen und moralisch einwandfreien Motiven dagegen zu sein, würde geradezu den Gipfel der Unverschämtheit erklimmen.

Die Inflation an wohlmeinenden Richtlinien, Sprachregelungen und Geschichtsumdeutungen hat gleichwohl monströse Dimensionen erreicht. Das Nichtsgönnertum im Kampf um Meinungshoheit trägt deutlich inquisitorische Züge im Mantel wohlfeiler Nötigungsrituale.

Das ist die Lage, von der auszugehen ist. Schon bald nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union wurde Russland als Gegner, wenn nicht als Feind identifiziert. Im Rückblick hat sich daran wenig geändert, ja – dieses ausschließende Gefühl ist mittlerweile zu einer institutionalisierten Strategie geworden.

In der Zwischenzeit hat sich die Welt verändert. Was im Irak, Libyen und Syrien alles falsch gemacht worden ist – auch wider guten Rates, das wissen wir. Der Flächenbrand schwelt weiter und erreicht mittlerweile Israel und die Türkei. Eine der Folgen davon ist die andauernde Völkerwanderung in Richtung der Festung Europa.

Eine andere Folge ist der deutlich veränderte Alltag im ansonsten so behüteten deutschen Wohlfühlreservat. Die fatalen Konsequenzen politischer Vorgaben sind ebenfalls gut dokumentiert. Sie geben kein beruhigendes Bild ab, stattdessen betonen sie das fehlende Gleichgewicht auf allen Seiten. Russland hat diese Wirren im Nahen Osten erfolgreich strategisch genützt und ist als gleichwertiger Spieler auf die internationale Bühne zurückgekehrt – ein „Phönix aus der Asche“.

Die Nato reagiert mit Konfrontation statt mit Kooperation auf die souveräne Geste einer möglichen Partnerschaft für die Zukunft. Man kann ruhig sagen, sie bleibt sich treu. Seit dem „neuen strategischen Konzept für die Allianz“ 1991 ist die Erweiterung der Nato in den Osten Europas eine der strategischen Hauptaufgaben der Bündnispolitik. Sie fungiert unter dem mittlerweile überstrapazierten Begriff des „Stabilitätstransfers“.

Damals wurde unter der Federführung der Amerikaner auf dem Höhepunkt des nichtlegitimierten NATO-Krieges gegen Serbien die Erweiterung ohne Begrenzung weitergezogen. Seitdem plagen wir uns mit gescheiterten Staaten wie Herzegowina und dem Kosovo herum. Im ersteren tummeln sich bis zu 180 Minister bei einer Bevölkerung von 3,5 Mio., im anderen Fall blüht Waffen- und Organhandel. Inwieweit das der europäischen Stabilität nützt, entzieht sich der Vorstellungskraft des Autors.

Nach Clinton hat auch Präsident Bush den Erweiterungsprozess als wesentlichen Teil eines weiteren strategischen Konzeptes für die Allianz vorgegeben. In Bukarest des Jahres 2009 versuchte er das Tempo zu forcieren und eine Entscheidung für die Öffnung eines Beitrittsverfahrens zu Gunsten Georgiens und der Ukraine durchzusetzen. Dieser neuerliche Vorstoß in Richtung der gewünschten Isolierung Russlands, scheiterte damals am Veto von Berlin und Paris. Leitgedanke war auch hier die pathologische Sorge vor einem erstarkenden Russland, das selbstbewusst und souverän seine Interessen im eigenen Vorhof behaupten würde.

Diese Einseitigkeit führte zwangsläufig in eine offene Gegnerschaft. Obwohl allen klar ist, dass ohne oder gar gegen Russland keine stabile Weltordnung möglich sein wird, wird phantasielos und mit stereotypen Vorwürfen dieser damals gefasste Beschluss weitergetrieben.

Stets hat die Nato die Beziehungen zu Russland letztlich negativ definiert: Kein Mitspracherecht auf Übernahme anderer Länder aus der Konkursmasse der Zaren und der Sowjetunion in die NATO, keine Interessenssphären in Europa (im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten), keine privilegierte Partnerschaft oder gar ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, nicht einmal in Sachen militärischer Planung zur Krisenbeherrschung konnte ein brauchbares Format entwickelt und gesichert werden.

Unter diesen Umständen drängt sich die Frage auf, wie die notwendige  Mitwirkung für die internationale Sicherheit, nukleare Rüstungskontrolle, Beschlussfassung im UN-Sicherheitsrat oder Russlands enge Beziehungen zu China, der Türkei, Indien, und dem Iran brauchbare und vor allem ergebnisorientierte Zusammenarbeit ermöglichen soll.

Im Angesicht der weltumspannenden militärischen Präsenz der Vereinigten Staaten (Russland unterhält gerademal zwei militärische Vorposten) und der militärischen Übermacht des Westens, erscheint die permanent beschworene „russische Gefahr“ als durchsichtiges Kalkül eigener Machtbestrebungen im Mantel der Erpressung. Kritik am Bestehenden ohne Selbstkritik, ohne Humor und Respekt für den Anderen ist Hetze. Der Verdrängungsprozess, der mit dem Balkankrieg begann, zog sich über das Baltikum bis in den Kaukasus.

Im Falle Georgiens erwies sich diese Strategie als eine trügerische: Moskau hat der georgischen Aggression gegen Ossetien entschieden und erfolgreich widersprochen und der düpierten westlichen Politik deren Grenzen aufgezeigt. Im Falle der Ukraine erinnern wir uns an Victoria Nulands Worte: „Die ganze Geschichte hat uns nur fünf Milliarden gekostet und ansonsten „Fuck the EU!““

Ein Blick zurück erlaubt Parallelen: Ähnliche Strategien früherer Zeiten und Akteure gegenüber dem russischen Zarenreich operierten mit der gleichen Zielrichtung, Moskau an den Rand Europas zu drängen (Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn sprach in diesem Zusammenhang damals von „Atembeschneidung hinten in Asien“) und eben dort zu isolieren, dabei mit beliebig manipulierbaren Kleinstaaten zu umzingeln und diese durch Militärbündnisse in die Abhängigkeit zu belassen.

Damals wie heute wurden dabei gezielt Kulturdenkmäler zerstört oder unkenntlich gemacht. Im Falle des Kosovo über 400 Kirchen, Denkmäler, Friedhöfe und sogar Klöster der serbisch-orthodoxen Kultur aus dem 14. und 15. Jhd. Ähnliches geschah im Falle Ossetiens – byzantinische Baudenkmäler und Schriftensammlungen aus dem 6. und 7. Jhd. wurden in den ersten zwei Tagen gezielt unter Beschuss genommen. Das Schweigen darüber, die Kälte und Teilnahmslosigkeit auf Seiten der moralisierenden Europäer über den Verlust dieser gesammelten Erinnerungen erscheint mehr als seltsam. Auch ohne Opposition Russlands, sollte die Nato wie auch Europa ein vitales Interesse an ihrer eigenen Begrenzung zeigen, also an der Substanz. Andernfalls werden in Zukunft die Karten neu gemischt auf Kosten der Sicherheitsrelevanz und europäischen Selbständigkeit.

Am Vorabend des Russisch-Türkischen Krieges 1876 schrieb Fjodor Dostojewski in seinem berühmten „Bekenntnisse eines Slawophilen“:
„…ein ganzes Jahrhundert vielleicht werden sie die Machtgier Russlands beklagen und fürchten, werden sie ständig um ihre Freiheit zittern, werden Russland verleumden, es durch den schmutzigsten Klatsch ziehen und gegen es intrigieren…Instinktiv werden sie immer (natürlich nur in Augenblicke der Not) fühlen, dass Europa ein natürlicher Feind ihrer Einheit ist, immer war und bleibt…“

Dostojewskis Prophezeiung entsprach sicherlich auch der Enttäuschung über die fehlende Solidarität der zuvor von Russland vom osmanischen Joch befreiten Südslawen einschließlich Bulgariens.

Und doch hat sich bei gänzlich veränderter Lage ein Umstand hartnäckig erhalten:
Man tut sich schwer damit, Russlands Leistung nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums gleichwertig anzuerkennen. In diesem Sinne liegt es im eigentlichen Interesse sowohl der NATO als auch Europas, Zonen verschiedener Sicherheit anzuerkennen. Symbolische Mitgliedschaft in der NATO nutzt weder der Ukraine, noch Georgien oder Moldawien, macht sie stattdessen abhängig ohne die Sicherheit nachhaltig zu stärken. Es ist an der Zeit, dass die Diplomatie zurückkehrt.

Zitat Dostojewski ist entnommen aus Haralampi G. Oroschakoff „Die Battenberg-Affäre“, Berlin Verlag 2007.

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