Die Maiski-Tagebücher

Die Maiski-Tagebücher

[Dr. Christian Wipperfürth] Iwan Maiski war in den letzten Vorkriegs- und ersten Kriegsjahren sowjetischer Botschafter in Großbritannien. Die Veröffentlichung seiner Tagebücher sorgt für Aufsehen.

Seine Tagebücher bieten einen seltenen Einblick in das Innenleben der stalinistischen Sowjetunion, denn in den Säuberungswellen 1937/38 wurden fast zwei Drittel der ranghohen Diplomaten und erfahrenen Mitarbeiter des Außenministeriums getötet, nur 16%, wie Maiski, verblieben auf ihren Posten. Dieser hatte Glück: Moskau hatte Angst vor einem Ausgleich zwischen den Westmächten und Hitler-Deutschland.

Maiski täuschte wiederholt das Außenministerium in Moskau, um eine sowjetisch-britische Annäherung zu erreichen. Besondere Sympathien für die Westmächte hegte er dabei nicht. Den Versailler Vertrag bezeichnete er als „grausam und idiotisch“, ebenso wie die Nachkriegspolitik Frankreichs und Großbritanniens gegenüber Deutschland. Hitler aber, so war Maiski überzeugt, müsse mit großer Entschlossenheit und einem britisch-französisch-sowjetischen Bündnis entgegengetreten werden, ansonsten werde ein Krieg unausweichlich.

Inhalt des Tagebuchs ist aber im Grunde weniger Maiskis „Kampf gegen Hitler“, sondern sind vielmehr die Auseinandersetzungen innerhalb Großbritanniens, wie auf den Aufstieg und das Verhalten Hitler-Deutschlands reagiert werden solle, welche Ziele Hitler verfolge, ob und welche Rolle die UdSSR bei der Einhegung Deutschlands spielen solle. Daneben wird ein Bild der britischen Gesellschaft gezeichnet und einiger ihrer führenden politischen und kulturellen Repräsentanten, wie Arthur Neville Chamberlain, Winston Churchill, Robert Eden, David Lloyd George, George Bernard Shaw oder den Webbs. Es handelt sich somit um ein sowohl Diplomatie- als auch kultur-/sozialgeschichtliches Buch.

Der Herausgeber schreibt, die Tagebücher stellten „viele der oft tendenziösen Geschichtsdeutungen sowohl russischer als auch westlicher Provenienz in Frage“ (15/16). Diese Deutung ist nach Ansicht des Rezensenten überspitzt. Vier durchaus bemerkenswerte Lektüre-Erkenntnisse jedoch bleiben: 1937/38 gab es zeitweise ernsthafte Aussichten auf ein britisch-französisch-sowjetisches Zusammengehen. Vorbehalte Warschaus gegen Moskau spielten eine große Rolle, dass es hierzu nicht kam. Zum zweiten gab es tatsächlich starke Indizien für den sowjetischen Eindruck, dass Frankreich und Großbritannien im Frühjahr und Sommer 1939 nicht wirklich ernsthafte Verhandlungen mit der UdSSR führten, um Hitler-Deutschland einzuhegen. Zum dritten war Moskau wiederum 1938/39 zu einem abgestimmten Vorgehen mit London und Paris bereit. Und zum vierten: Maiski hat die wiederholten britischen Warnungen seit April 1941 vor einem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nicht ernst genommen. Seine irreführenden Berichte nach Moskau trugen dazu bei, dass der Angriff sein Land überraschte.

Fehler, vor denen kein Buch gänzlich gefeit ist, sind rar, so bspw. die irrtümliche Feststellung, am 15. März 1939 wäre die Gesamte Tschechoslowakei besetzt worden (841, Fußnote 7).

Ich habe es nicht bedauert, das Buch gelesen zu haben, mag das dickleibige Werk aber nicht guten Gewissens weiter empfehlen.

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