Der Fall Skripal und die Pflichten der DiplomatieUnkauf, Urs 2017 bild © Unkauf

Der Fall Skripal und die Pflichten der Diplomatie

Reißerische Überschriften zu den finsteren Machenschaften des ‚bösen Russen‘ schießen manchem Journalisten bei jeder sich bietenden Gelegenheit rasch in die Feder.

Analytische Schärfe und diplomatisches Kalkül werden dabei weniger bemüht als die klaren Aussagen: „Russland hat sich einmal mehr etwas zu Schulden kommen lassen“ und „Der Übeltäter ist bekannt“. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, dem russischen Staat, der russischen Regierung oder dem Land als solchem etwas negativ anzulasten, wird diese Nachricht vermittelt – teilweise subtil und unterschwellig, teils unverhüllt und bar jeder Begründung.

Der Giftanschlag auf den in Großbritannien lebenden, ehemaligen russischen Agenten Sergej W. Skripal und dessen Tochter Julia am 4. März 2018 ist das jüngste Beispiel dieser sich bereits seit Längerem abzeichnenden Tendenz der Russlandberichterstattung vieler Leitmedien. Es ist eine intellektuelle Zumutung, diesen Vorfall ganz selbstredend als eine seitens der russischen Regierung geplante und durchgeführte Aktion zu deklarieren. Aus der Tatsache, dass Skripal einem Nervengift zum Opfer fiel, das in der Sowjetunion der 1970er und 1980er Jahre entwickelt wurde, lässt sich kein seriöser, unmittelbarer Bezug zu den Hintergründen des Anschlages herstellen. Diese unterkomplexe, aber verbreitete Wahrnehmung erschließt sich jedem, der in dieser Situation einen kühlen Kopf bewahrt und die operativen Möglichkeiten des diplomatischen Vorgehens richtig einschätzt.

Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej J. Netschajew, betont an erster Stelle die Bereitschaft der Russischen Föderation zur konstruktiven Zusammenarbeit bei der Aufklärung dieses Attentats.

Zurecht stellt der Botschafter die klassische Frage „Cui bono?“ – Wem nützt es? Wer nun, egal ob im Vereinigten Königreich oder anderswo, den Abbruch diplomatischer Beziehungen mit Russland forciert, trägt weder zur Aufklärung des Vorfalls, noch zur Förderung der eigenen strategischen Interessen in langfristiger Perspektive bei. Im Rahmen des gemeinsamen Übereinkommens über das Verbot chemischer Waffen bestehen alle notwendigen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit im Sinne einer sachorientierten Aufklärung, wie Botschafter Netschajew erläutert.

Der britischen Regierung wurden vier Noten aus Russland übermittelt, gemäß denen eine Prüfung von Mustern des eingesetzten Giftstoffes binnen zehn Tagen von russischer Seite erfolgen werde. Zugleich betont der erfahrene Diplomat den Willen zur Vermeidung weiterer Eskalationsstufen in den bilateralen Beziehungen – die bisher erfolgte Ausweisung britischer Diplomaten trägt ausschließlich reaktiven Charakter. Doch wie in vielen Konfliktfällen wird Russlands Bemühungen zur Deeskalation und Initiativen zur Verständigung über strittige Themen in vielen Medien höchstens nachrangige Aufmerksamkeit eingeräumt.

Wem nützt es, im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen und der mit internationaler Begeisterung erwarteten Fußballweltmeisterschaft ein Negativbild von Russland zu verfestigen, wenn noch nicht einmal klare Indizien für eine (Mit-)Verantwortung von Bediensteten staatlicher Behörden gegeben sind?

Dieselben Leute, die keine Gelegenheit auslassen, Russland eine mangelnde rechtsstaatliche Praxis vorzuwerfen (über die man durchaus sachlich streiten kann), hebeln in ihren apologetischen Negativschlagzeilen den rechtsstaatlichen Grundsatz „In dubio pro reo“ – Im Zweifel für den Angeklagten, aus. Die Aufgabe der Diplomatie besteht darin, gerade in schwierigen Situationen die Gesprächskanäle aufrechtzuerhalten. Leidtragende einer verschärften Eskalation wären zuvorderst die Opfer des Anschlages und diesen sind die Verantwortungsträger auf allen Seiten hierbei in erster Linie verpflichtet.

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