Alexander Rahr auf einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Endes der Wolgograder Schlacht: (leicht gekürzt)Rahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

Alexander Rahr auf einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Endes der Wolgograder Schlacht: (leicht gekürzt)

Es gibt keine deutsche Ostpolitik mehr. Die Bundesregierung hat sich schon lange von den Prinzipien des Umgangs – konkret mit Russland – wie sie Willy Brandt und Egon Bahr konzipiert hat, verabschiedet.

Aber hier hilft kein Klagen, wir müssen Lösungsmöglichkeiten finden. So müssen wir die Deutungshoheit über die Bewertung geschichtlicher Ereignisse und politischer Entwicklungen hinsichtlich Russlands zurückgewinnen. Vor allem sollten wir dabei die Jugend im Blick haben, die über die Medien ein verqueres Russland-Bild bekommen und dazu von Geschichtslehrern unterrichtet werden, die selbst ein völlig falsches Bild vermittelt bekommen haben.

Seit 2007 gibt es keine Bewegung in der Frage, die uns in Europa am meisten beschäftigen sollte: Wie gestalten wir unser gemeinsames Haus, in das auch Russland hineingehört? Die Frage der Einbeziehung Russlands in die europäische Architektur scheint niemanden zu interessieren.

Vor genau zehn Jahren hat der russische Präsident Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine historische Rede gehalten, die als Weckruf gedacht war, aber damals als Beginn des Kalten Krieges geschmäht wurde. Er hat damals an den Westen appelliert, auf aller weiteren Bestrebungen zur Erweiterung der NATO durch Einbeziehung der Ukraine und Georgiens zu verzichten. Russland würde sich dadurch unmittelbar bedroht fühlen. Aber ein Jahr später versuchte der amerikanische Präsident auf dem NATO-Gipfel in Bukarest dennoch, beide Länder quasi durch die Hintertür, in das Militärbündnis zu holen. Das klappte nicht, zeigt aber, dass den USA an partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Russland nicht gelegen ist.

Als in den Jahren 2013/2014 die EU mit der Ukraine Verhandlungen um ein Assoziierungsabkommen führte, gab es dort eine geheime Präambel über die Zusammenarbeit in militärischen Fragen. Den Russen war klar – dies war die Einbindung der Ukraine in das Militärbündnis durch die Hintertür. Alles, was danach im Jahre 2014 passierte – Maidan, Donbass, Krim – hat letztlich damit zu tun, dass die NATO schon mit einem Bein in der Ukraine stand, was für Russland nicht hinnehmbar war.

Die europäische Architektur befindet sich in einer dramatischen, höchst gefährlichen Schieflage. Der Westen sagt: Europa muss auf zwei Säulen beruhen – der NATO und der EU. Was anderes kommt für uns nicht in Frage. Nicht einmal die OSZE als mögliche dritte Säule spielt hier eine Rolle. Das müssen die Russen schlucken, wenn sie mitmachen wollen, heißt es. Die sagen natürlich „Nein“ zu solch einem Konstrukt. Russland als größter Flächenstaat in Europa, mit all seiner Geschichte und Kultur seit Peter I. eng mit Europa verbunden, soll nicht nur außen vor bleiben, sondern politisch sogar hinausgedrängt werden, nach Asien.

Was wir dringend brauchen, ist ein vernünftiger Dialog mit Russland über die künftige Architektur Europas. Dazu gehört eine dauerhafte Neutralität der Ukraine, ebenso eine Verständigung zwischen Russland und den baltischen Staaten. Aber wir sind zu überheblich geworden, behandeln Russland wie einen dummen Jungen, der erst noch lernen muss, was Demokratie, zumindest nach westlichem Verständnis heißt. Diese Haltung stößt, nicht nur in Russland auf Unmut.

Dann wird versucht, Geschichte als Waffe zu nutzen, wie etwa durch die Partei der Grünen, aus deren Reihen immer wieder behauptet wird, Polen sei durch die ukrainische Armee befreit worden. Solch hanebüchener Unsinn wird dann auch noch über die Medien verbreitet.

In diese Schublade gehört auch der letztlich gescheiterte Vorschlag seitens der Berliner CDU, alle sowjetischen Denkmäler aus Berlin zu entfernen. Auf dieser Ebene liegt auch die Behauptung, Russland hätte seine ehemaligen Sowjetrepubliken und seine osteuropäischen Verbündeten in ein Völkergefängnis gesteckt, deshalb stünden uns jetzt die Opfer-Staaten viel näher als das schuldige Russland.

Kanzlerin Merkel verkündet in diesem Sinn dann auch, dass sie nach Moskau nur über Warschau fahren würde. Kein Wort über Dialog und Annäherung und ich befürchte, dass die Spannungen sich in Zukunft weiter verschärfen. Typisch dafür ist die Diskussion in den USA um eine Beeinflussung der amerikanischen Präsidentschaftswahlen durch Russland. Das ist eine klare Retourkutsche des US-Establishments für die Enthüllungen der Arbeit amerikanischer Geheimdienste durch Snowdon.

Das alles schmeckt nach mehr, statt weniger Konfrontation. Ich sage ehrlich, ich habe Angst vor diesem Strudel. Deshalb stehe ich bei denjenigen, die aus ihrer Erfahrung und aus der Kenntnis der Tatsachen ihre Kräfte und die Öffentlichkeit gegen diese höchst gefährliche Entwicklung mobilisieren.

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